8.3. Kommerzialisierung
Der VoD-Markt in Deutschland wächst stetig, wie eine Studie von PriceWaterhouseCoopers ergeben hat. Dies ist für eine Gesellschaft, die i.d.R. gebührenfreien Empfang von Privatsendern über Satellit gewohnt war, ein Meilenstein der Marktentwicklung.
Ein laienhafter Ökonom könnte behaupten, die präsentierten mikroökonomischen Erhebungen seien auf eine handvoll Anbieter beschränkt, die einen überproportional großen Teil des Kuchens erhalten. Das ist auch in der Hinsicht wahr, dass kleine und mittlere Medienunternehmen bis dato nicht oder extrem selten direkt über die digitalen Verwertungswerkzeuge verfügen, welche die etablierten Herausgeber als Standard zur sicheren Mediendistribution und der Beitragsabrechnung für die konsumierten Medien verwenden. Wenn die Techniken zur Verwertung jedoch so weit demokratisiert werden, dass ein freischaffender Herausgeber aus verlässlichen Softwarekomponenten wählen kann, um seine maßgeschneiderte Streaminglösung zu entwickeln – erst dann werden unabhängige Medienangebote in einem exponentiellen Tempo entstehen.
Chris Anderson, der Chefredakteur des legendären WIRED-Magazins für Cyberkultur, hat vor etwa einer Dekade die Entwicklung des Musikmarktes in Hinsicht auf den Tausch von mp3-Dateien neu definiert. Er ist zu dem Schluss gekommen, dass durch das technisch unbegrenzte Angebot im Internet, die Musikherausgeber nicht wie bisher, mit ihrem Angebot auf die physischen Regale in Plattenläden beschränkt werden würden. Diese mussten sich erst darauf einstellen, ein viel diffuseres Angebot zu pflegen, um die Einbußen aus der Korrosion des bislang statischen und auf relativ wenige exponierte Produkte beschränkten Platteneinzelhandels wieder aufzufangen. Gleichzeitig ist ein ganzes Ökosystem unabhängiger Medienhändler entstanden, die technische Wege gefunden haben, ihre ökonomischen Interessen sowie ihre Medien-Assets effektiv abzusichern und eine stabile Position im Internetmusikvertrieb zu bestreiten.
Die Fülle an Anbietern, die in diesem Ökosystem entstanden sind, hat Ch. Anderson „The Long Tail“ genannt, deren Ideogram in Abbildung 21 dargestellt wurde. Einerseits bezieht sich dieser Ausdruck wahrscheinlich an die sog. Stakeholder in einem gewissen Ökosystem, welche im Internet – in diesem Fall im Internetmusikvertrieb – quasi unendlich diffus sind. Andererseits beschreibt sie eine unendliche Fülle an technischen Vertriebsmöglichkeiten.
Dasselbe Prinzip einer unendlichen Kette betrifft das Spiel von Angebot und Nachfrage im Internet. Die Products-Achse beschreibt das Spektrum der angebotenen, verschiedenen Produkte. Die Popularity-Achse beschreibt die Beliebtheit eines Produktes (bspw. eines Musikalbums) aus der Makroperspektive. So wurde „Shake it off“ von Taylor Swift auf Youtube über 2,6 Milliarden Mal aufgerufen. Es gibt aber auch sehr viele Videos, die knapp 1000 Mal aufgerufen wurden. Das eine oder andere von ihnen hat sogar einen Ertrag für den Autor gebracht. Wenn man Ch. Anderson und seinem „Long Tail“-Konzept glauben will, dann gibt es ebenfalls etwa 2 Milliarden Musikvideos, die zwar nicht auf fast jedem LCD-Monitor auf dem Globus erschienen sind, aber trotzdem das eine oder andere Video die Kosten seiner Herstellung bestritten hat und vielleicht sogar weitere Einnahmen, oder ein Sequel, und eine Computerspieladaption erreicht hat.
Die Zahl dieser Medienprodukte und -projekte geht bis in unvorstellbare Größenordnungen. Deswegen ist es legitim, „Long Tail“ theoretisch als eine unendliche Funktion zu betrachten.
Jeden Tag landet in der „Long Tail“ ein neues Medien-Asset, das mit einer steigenden Zahl von Mikrotransaktionen jeweils 50 Cent für den Herausgeber und Produzenten einspielt. Dieser Umstand belegt, dass das Geschäft mit Medien-Assets hochskalierbar ist und sich deswegen sogar mit Mikrotransaktionen, wenn ihre Frequenz gleichzeitig steigt, bestreiten lässt.
Da das vorgestellte Projekt tief genug ansetzt, um die gesamte Verwertungskette zwischen Encoder und Verschlüsselung bis zum Playout eines zahlenden Kunden mit Entschlüsselung abzudecken, können die, auf dieser Verwertungskette befindlichen Verwertungsknoten genutzt werden, wie z.B.
- Analyse der Zuschaueraktivität durch Webstatistikanwendungen
- Playout einer In-Video-Werbung
- Möglichkeit der Staffelung des Preises ja nach Qualität des Videos
Es gibt noch viele weitere technische Möglichkeiten, eine Verwertung vorzunehmen, wenn man die komplette Kontrolle über den eigenen Playout besitzt. Wenn man die Kontrolle über den Playout an einen Vermittler übergibt, tritt man gleichzeitig alle technischen Möglichkeiten der Verwertung an eine dritte Partei ab. Denn wer den Playout zur Verfügung stellt, der besitzt auch die Kontrolle über sämtliche Zusatzfunktionen, wie Zuschauerermessung und Werbefunktionen.
Die In-Video-Werbung war in den Flash-dominierten Zeiten aus technischen Gründen lediglich mit einem speziellen Plugin – VAST (Digital Video Ad Serving Template)106 – für den Flashvideoplayer möglich. Mittlerweile können 2D-Grafik Banner mittels CSS direkt auf einem Videoplayout im Browser platziert werden. Sie entsprechen zwar von der Funktionsweise nicht dem Standard, den das Internet Advertising Bureau für seine Großkunden vorsieht. Als Einstiegsmethode, um eine In-Video-Werbung zu schalten und so eine Mikroverwertung vorzunehmen, ist der CSS-Ansatz jedoch nicht abwegig und stellt eine reelle Konkurrenz zu den kostenpflichtigen VAST-Anbietern.
Weiterhin ist es möglich, per <div>-Parameter einen Videoplayout zu einem klickbaren Banner umzufunktionieren und damit selbst eine Lösung zur effektvollen Werbeschaltung für interessierte Kunden zu entwickeln.
Der Encoder kann als Software as a Service zum Bereitstellen von hochqualitativen HLS-Streams betrieben werden, die den Vorteil besitzen, dass sie vom User auf einem beliebigen Webspace untergebracht werden können. Die Bandbreite der potentiellen Kunden, von Filmemachern bis Werbestudios, die von so einer Dienstleistung profitieren könnten, um ihre Filme unter einer eigenen, exklusiven Brand zu vermarkten, ist weit gefächert. So eine Dienstleistung ist ökonomisch messbar und es kann ein vertretbarer Marktpreis für die Medienaufbereitung veranschlagt werden.
Des Weiteren, wenn der Medienadministrator die Filme zusätzlich verschlüsselt, um einen unbefugten Zugriff zu verhindern, ist es technisch legitim, eine Gebühr für den Konsum der Inhalte zu verlangen. Diese Gebühr kann, wie in Kapitel 3.3. erwähnt, einen Abonnementcharakter haben oder einen einmaligen Zugriff gewähren. Dies wird von der eingebauten Zugriffskontrolle über den WATCH.TOKEN verifiziert. Ebenso kann eine mobile App vom Streaming Server genau identifiziert und verifiziert werden, u.a. durch die Ausnutzung einer Public Key Infrastruktur, die die Distribution und Nutzbarkeit der App konditioniert und damit die Freigabe der Keyinfo effektiver kontrollieren lässt, da jeder User theoretisch über eine identifizierte Kopie der App auf den Stream zugreifen muss.
8.4. Fazit
Streamingtechnologien sind so frei verfügbar wie noch nie. Dies gilt sowohl für gratis Dienstleistungen diverser Social Media- Größen, als auch den Zugriff auf die Basissoftware, aus der eine komplexe Streaminglösung geschmiedet, bzw. integriert, werden kann. Das präsentierte Projekt wird nur eins von vielen sein, denn die Kompatibilität und leichte Anwendung des HLS-Protokolls und in absehbarer Zukunft des MPEG-DASH Protokolls, ermöglichen quasi eine unendliche Vielfalt von Konfigurationen in Eigenregie. Es kann vorkommen, dass die etablierten VoD-Anbieter das Platzen einer zweiten Dot.com-Marktblase107 erleben, sobald mehr User über die Streamingbasistechnologien verfügen und sie auch nur semi-professionell anzuwenden verstehen. Die Öffentlichkeit ist an eine monolithische Medienwelt gewöhnt, woran die etablierten Medienproduzenten bzw. Rechteinhaber nichts verändern wollen. Neben der Technologie ist das Mediengeschäft von juristischen Verhältnissen geprägt, insbesondere in Hinsicht auf Medienrecht, Urheberrecht und Internetrecht. Deswegen ist für einen Streamingunternehmer nach wie vor die Einhaltung von Sicherheits- und Qualitätsnormen zwingend notwendig. Auch ist trotz einer nonkonformen technischen Lösung die Einhaltung von bestehenden Gesetzen zwingende Voraussetzung für einen bewussten Umgang mit der Rolle als Herausgeber – denn neben der Technologie liegt auch die juristische Verantwortung beim Betreiber. Einen philosophischen Ratschlag aus dem 20. Jahrhundert an künftige Betreiber können Th. Adorno und M. Horkheimer liefern:
„Was widersteht, darf überleben nur, indem es sich eingliedert. Einmal in seiner Differenz von der Kulturindustrie registriert, gehört es schon dazu wie der Bodenreformer zum Kapitalismus. Realitätsgerechte Empörung wird zur Warenmarke dessen, der dem Betrieb eine neue Idee zuzuführen hat. Die Öffentlichkeit der gegenwärtigen Gesellschaft läßt es zu keiner vernehmbaren Anklage kommen, an deren Ton die Hellhörigen nicht schon die Prominenz witterten, in deren Zeichen der Empörte sich mit ihnen aussöhnt. Je unausmeßbarer die Kluft zwischen dem Chorus und der Spitze wird, um so gewisser ist an dieser für jeden Platz, der durch gut organisierte Auffälligkeit seine Superiorität bekundet. Damit überlebt auch in der Kulturindustrie die Tendenz des Liberalismus, seinen Tüchtigen freie Bahn zu gewähren.“108
Die Tüchtigen sollten in diesem Fall als die Freischaffenden betrachtet werden, die sich innerhalb eines legalen Spielraums bemühen, ihre Medienkompetenz, sei es als Kreativer, Vermittler oder Entwickler, auszuspielen und der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen.
Konklusiv lässt sich feststellen, das die vorgestellte Arbeit ein Proof of Concept und ein Vorschlag eines Medienbaukastens für das World Wide Web ist. Die vorgestellten Abläufe sind so allgemein, dass sie sich in etlichen anderen Programmier- und Websoftwareumgebungen replizieren lassen. Das zu Anfang erklärte Ziel, einen universellen Webencoder herzustellen, wurde erreicht.